Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
mit dem heutigen Salon eröffnen wir zugleich die Ausstellung "Gerngroß-Models" mit
Fotoarbeiten des jetztkunst-Künstlers Pit Kinzer.
"Gerngroß-Models" lautet die Serie mit zum Teil großformatigen
Fotoarbeiten, die hier in Nürnberg zum ersten Mal in größerem
Umfang zu sehen ist. Der Titel bezieht sich erst einmal schlicht auf die fotografierten
Modelle - es sind Miniatureisenbahnfiguren, die mit Hilfe der Makrofotografie
in eine ihnen unbekannte Größendimension - eben die menschliche
Dimension - vorstoßen.
Den Begriff "Gerngroß" haben wir gern aufgegriffen
und zum Thema unseres heutigen Salons gemacht: "Gerngroß" thematisiert
letztlich mehr als nur das Große im Verhältnis zum Kleinen.
Das Wort wird ja meist im abschätzigen Sinne gebraucht: Jemand,
der ein "Gerngroß" genannt wird, ist jemand, der
mehr gelten will als seine Disposition ihm erlaubt. "Gerngroß"-Typen
streben nach einem Format, das sie entweder noch nicht erreicht haben
- oder im ungünstigsten und damit peinlichsten Fall nie
erreichen werden. Zu einem Satz ausformuliert bedeutet "gerngroß":
man will gerne größer sein als man in Wirklichkeit ist.
Nun, das ist ein Streben, das einerseits sehr natürlich und
mithin auch menschlich ist, das andererseits aber eben auch ein großes
Risiko in sich birgt: Ein "Gerngroß", der sich so
gibt, als hätte er bereits die Form, die er anstrebt, ist gewissermaßen
das personifizierte Scheitern.
Die "Gerngroß-Models", die uns Pit Kinzer präsentiert,
sind zum Glück ihrem eigentlichen Maß treu geblieben -
es sind eben "nur" Models, die sich dem Künstler zur
Verfügung stellen. Sie sind nicht im eigentlichen Sinne "gerngroß",
sondern dienen bescheiden den Intentionen des Künstlers und
gehen ganz in dessen Arbeit auf.
Wie kommt es dazu, dass wir diese Ausstellung hier präsentieren
dürfen? Pit Kinzer habe ich vor fünf Jahren kennen gelernt
- er war einer der ersten jetztkunst-Künstler. 2001 hat er schon
einmal in Nürnberg ausgestellt und zwar bei unserer ersten
jetztkunst-Ausstellung im-Z-Bau.
Als Pit Ende letzten Jahres mitbekommen hat, dass ich für jetztkunst
einen Ausstellungsort im Hauptbahnhof aufgetan habe, war er sofort
neugierig und ist auch gleich zur Eröffnung des Kultursalons
gekommen, um sich die Räumlichkeiten auf ihre Ausstellungstauglichkeit
hin anzusehen. So ein Besuch ist nicht selbstverständlich, immerhin
hat Pit einige hundert Kilometer zu fahren, um aus dem Allgäu
nach Franken zu kommen.
Pit war - wie übrigens die meisten Künstler, die sich diesen
Ort ansehen nicht gerade begeistert über die räumlichen
Bedingungen, die hier herrschen. Als Zwischennutzer dürfen wir
keine Bilder von den Wänden nehmen, da diese noch dem Vorpächter
gehören und an die Wände festgeklebt sind. Die Bilder abnehmen,
hieße den Putz abreißen und damit die Wände zerstören.
Die definitive Vorgabe unseres Vermieters - der Bahn - lautet dementsprechend:
An den Wänden alles so lassen wie es ist. Wir dürfen hier
zu günstigen Konditionen und auf begrenzte Zeit Kultur machen,
aber eben nur unter eingeschränkten Bedingungen. Das ist der
Deal.
Wie gesagt: Pit hat die Räume Ende November begutachtet und
war schon kurz davor, wieder abzuspringen. Dass er nach einigen Überlegungen
trotzdem eingestiegen ist, hat vor allem vier Gründe:
Grund eins: Er hat als Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler
genug Ausstellungserfahrung, um zu wissen, dass man auch oder gerade
an einem problematischen Ort wie diesem eine gute Ausstellung machen
kann.
Grund zwei: Die Gelegenheit, direkt in einem Bahnhof auszustellen,
hat ihn einfach gereizt - schließlich passen seine Arbeiten
sehr gut an diesen Ort - seine Modelle sind allesamt Miniatureisenbahnfiguren.
Auch viele Bahnhöfe sind auf den Bildern zu sehen.
Grund drei: Pit hat persönliche Bezüge zur Bahn und zum
Bahnhof - er stammt selbst aus einer Eisenbahnerfamilie.
Und Grund vier: Unser Kultursalon-Konzept. Der Salon ist ein Ort,
an dem sich verschiedenste Künste begegnen. So gesehen, kann
sich der bildende Künstler in einen Rahmen einbinden, den er
zusammen mit Künstlern anderer Disziplinen gestaltet. Das interdisziplinäre
hier im Kultursalon hat Pit letztlich wohl überzeugt.
Erlauben Sie mir einige Worte zu Pit Kinzers Arbeiten zu sagen: Wie
ich in der Zeitung gelesen habe, kam Pit auf die Idee seiner Gerngroß-Models
letztes Jahr bei einem Urlaub in Kärnten. Dort gibt es ein Kaufhaus,
das "Gerngroß" heißt. Und just an diesem Ort
kann man die größte Miniatureisenbahn Österreichs
bestaunen.
Die "Gerngroß-Models" sind im Original also winzig
klein. Es sind die verschiedensten Typen darunter - von Passanten über
Blasmusiker bis hin zu Striptease-Tänzerinnen. Allesamt hat
Pit Kinzer sie in so ausgewählt, dass sie in von ihm vorgegebene
Szenerien passen. Kinzer hat Architektur studiert und betätigte
sich früher auch literarisch insofern gehört der
Raum zu Kinzers zentralen Sujets ebenso wie das lyrische Moment,
das in den von ihm arrangierten Szenen aufscheint.
Zuerst zu den großformatigen Arbeiten: Diese bilden die Wirklichkeit
haargenau ab. Es sind vom Künstler gestellte Szenen, die ihre
Aussagekraft dadurch gewinnen, dass sie Realität und Abstraktion
auf eine neue Weise miteinander verschmelzen. In Kombination mit
den erhellenden Bildtiteln wird dies deutlich.
Das Bild hinter mir beispielsweise heißt "Der Sprung
ins Ungewisse": Die Makrofotografie erlaubt eine millimetergenaue
Tiefenschärfe und die Figur fliegt gewissermaßen in einen
Unschärfebereich hinein, dessen Ende nicht absehbar ist.
Eine eher zufällige - im Ergebnis aber umso treffendere - Korrespondenz
sehen wir bei der Arbeit, die Pit Kinzer dort auf der Staffelei präsentiert:
Das Bild mit dem Titel "Der Theaterverein probt Casablanca" findet
seinen angemessenen Platz direkt neben einem Casablanca-Filmplakat.
Die Einschränkung, die wir hier als Aussteller haben, da wir
an den Wänden nichts verändern dürfen, erfährt
an dieser Stelle eine überraschend positive Wendung.
Ene dritte großformatige Arbeit, die ich noch ansprechen möchte,
heißt "Im Winter des Lebens": Pit Kinzer hat
hier zwei Figuren auf die Fotografie einer Schneefläche gestellt:
Es sind unbemalte Figuren, die im Lichtschein so transparent und
verletzlich wirken, dass man meint, schon fast ihre Seele sehen zu
können. Und es sind zwei alte Damen, die ihr langes Leben über
den kalten Schnee bewegen - den Herbst ihres Lebens haben sie schon
lange hinter sich und trotzen der Kälte, die sie umgibt. Sie
wirken verletzlich, doch zugleich gehen sie tapfer voran. Wohin sie
gehen, wissen nur sie.
Im Unterschied zu den großformatigen Arbeiten, die abstrakt
inszeniert sind und im Grunde an jedem Ort der Welt stattfinden könnten,
sind die kleinformatigen Arbeiten in ganz konkrete Umgebungen eingebunden.
Pit Kinzer hat die Figuren so arrangiert und fotografiert, dass er
sie anschließend am Computer passgenau in vorhandene Stadtlandschaften
einmontieren konnte. Diese Arbeiten stehen unter dem gemeinsamen
Titel "Gerngroß-Models auf der Walz". Wir sehen Wandergesellen,
wie sie sich rund um den Globus nützlich machen. Mit Vorliebe
besuchen sie Orte mit historischen oder politischen Bezügen
und arbeiten damit im wahrsten Sinne des Wortes am Begriff. Sie sind
in Deutschland, Europa und Übersee unterwegs, werkeln am Kölner
Dom, an der Dresdner Frauenkirche, am Turm von Pisa, dem Triumpfbogen
in Paris oder gar im New Yorker Ground Zero. Auch der Turmbau von
Babel ist ihnen eine Reise wert. Und immer haben sie eine Kiste dabei,
wobei man sich fragt, was sie in dieser wohl transportieren mögen.
Sie tragen ihr Geheimnis offensichtlich und gut verpackt mit sich
herum ausgerechnet an der polnischen Grenze wird ihnen diese
Kiste gestohlen.
Was ist das nun für ein Mensch, der sich solche Sachen ausdenkt?
Pit Kinzer kommt aus Markt Rettenbach im Unterallgäu, dort lebt
und arbeitet er als Künstler, Galerist und Kulturschaffender.
Er ist 1951 im Allgäu geboren, kam 1972 nach Augsburg, studierte
Architektur, machte Musik von Tanzkapelle bis Freejazz, war Mitarbeiter
der ersten Augsburger Stadtzeitung und gab eine Zeitschrift für
Literatur und Kunst heraus. Als freischaffender Maler, Grafiker und
Medienkünstler kann er schon über 80 Einzelausstellungen
und an die 500 Ausstellungsbeteiligungen vorweisen. Auch diverse
Preise hat er bekommen u.a. 1982 den Kunstförderpreis
der Stadt Augsburg für Literatur, 1987 den Kunstförderpreis
der Stadt Augsburg für Bildende Kunst, 1998 den Kunstpreis der
HypoVereinsbank Pfronten und letztes Jahr den Preis des Rotary-Clubs
beim 8. Kunstfrühling in Bad Wörishofen.
So viel zu Pit Kinzer in gebotener Kürze schließlich
haben wir heute noch einen Salon vor uns. Ich denke, Sie können
Pit Kinzers vielfältige Interessen und Begabungen auch in den
hier gezeigten Arbeiten entdecken. Wer mehr über Pit Kinzer
und seine Arbeit erfahren will, kann ihn entweder heute Abend noch
ansprechen oder einfach im Internet unter www.jetztkunst.de nachlesen.
Ich wünsche Ihnen nun einen angenehmen Salonabend, vielen Dank.