Pit Kinzer: Gerngroß Models

Rede von Michael Schels anlässlich der Ausstellungseröffnung
und des Salons "Gerngroß" am 4.2.2006

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
mit dem heutigen Salon eröffnen wir zugleich die Ausstellung "Gerngroß-Models" mit Fotoarbeiten des jetztkunst-Künstlers Pit Kinzer.

"Gerngroß-Models" lautet die Serie mit zum Teil großformatigen Fotoarbeiten, die hier in Nürnberg zum ersten Mal in größerem Umfang zu sehen ist. Der Titel bezieht sich erst einmal schlicht auf die fotografierten Modelle - es sind Miniatureisenbahnfiguren, die mit Hilfe der Makrofotografie in eine ihnen unbekannte Größendimension - eben die menschliche Dimension - vorstoßen.

Den Begriff "Gerngroß" haben wir gern aufgegriffen und zum Thema unseres heutigen Salons gemacht: "Gerngroß" thematisiert letztlich mehr als nur das Große im Verhältnis zum Kleinen. Das Wort wird ja meist im abschätzigen Sinne gebraucht: Jemand, der ein "Gerngroß" genannt wird, ist jemand, der mehr gelten will als seine Disposition ihm erlaubt. "Gerngroß"-Typen streben nach einem Format, das sie entweder noch nicht erreicht haben - oder im ungünstigsten und damit peinlichsten Fall – nie erreichen werden. Zu einem Satz ausformuliert bedeutet "gerngroß": man will gerne größer sein als man in Wirklichkeit ist. Nun, das ist ein Streben, das einerseits sehr natürlich und mithin auch menschlich ist, das andererseits aber eben auch ein großes Risiko in sich birgt: Ein "Gerngroß", der sich so gibt, als hätte er bereits die Form, die er anstrebt, ist gewissermaßen das personifizierte Scheitern.

Die "Gerngroß-Models", die uns Pit Kinzer präsentiert, sind zum Glück ihrem eigentlichen Maß treu geblieben - es sind eben "nur" Models, die sich dem Künstler zur Verfügung stellen. Sie sind nicht im eigentlichen Sinne "gerngroß", sondern dienen bescheiden den Intentionen des Künstlers und gehen ganz in dessen Arbeit auf.

Wie kommt es dazu, dass wir diese Ausstellung hier präsentieren dürfen? Pit Kinzer habe ich vor fünf Jahren kennen gelernt - er war einer der ersten jetztkunst-Künstler. 2001 hat er schon einmal in Nürnberg ausgestellt – und zwar bei unserer ersten jetztkunst-Ausstellung im-Z-Bau.
Als Pit Ende letzten Jahres mitbekommen hat, dass ich für jetztkunst einen Ausstellungsort im Hauptbahnhof aufgetan habe, war er sofort neugierig und ist auch gleich zur Eröffnung des Kultursalons gekommen, um sich die Räumlichkeiten auf ihre Ausstellungstauglichkeit hin anzusehen. So ein Besuch ist nicht selbstverständlich, immerhin hat Pit einige hundert Kilometer zu fahren, um aus dem Allgäu nach Franken zu kommen.
Pit war - wie übrigens die meisten Künstler, die sich diesen Ort ansehen – nicht gerade begeistert über die räumlichen Bedingungen, die hier herrschen. Als Zwischennutzer dürfen wir keine Bilder von den Wänden nehmen, da diese noch dem Vorpächter gehören und an die Wände festgeklebt sind. Die Bilder abnehmen, hieße den Putz abreißen und damit die Wände zerstören. Die definitive Vorgabe unseres Vermieters - der Bahn - lautet dementsprechend: An den Wänden alles so lassen wie es ist. Wir dürfen hier zu günstigen Konditionen und auf begrenzte Zeit Kultur machen, aber eben nur unter eingeschränkten Bedingungen. Das ist der Deal.
Wie gesagt: Pit hat die Räume Ende November begutachtet und war schon kurz davor, wieder abzuspringen. Dass er nach einigen Überlegungen trotzdem eingestiegen ist, hat vor allem vier Gründe:
Grund eins: Er hat als Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler genug Ausstellungserfahrung, um zu wissen, dass man auch oder gerade an einem problematischen Ort wie diesem eine gute Ausstellung machen kann.
Grund zwei: Die Gelegenheit, direkt in einem Bahnhof auszustellen, hat ihn einfach gereizt - schließlich passen seine Arbeiten sehr gut an diesen Ort - seine Modelle sind allesamt Miniatureisenbahnfiguren. Auch viele Bahnhöfe sind auf den Bildern zu sehen.
Grund drei: Pit hat persönliche Bezüge zur Bahn und zum Bahnhof - er stammt selbst aus einer Eisenbahnerfamilie.
Und Grund vier: Unser Kultursalon-Konzept. Der Salon ist ein Ort, an dem sich verschiedenste Künste begegnen. So gesehen, kann sich der bildende Künstler in einen Rahmen einbinden, den er zusammen mit Künstlern anderer Disziplinen gestaltet. Das interdisziplinäre hier im Kultursalon hat Pit letztlich wohl überzeugt.

Erlauben Sie mir einige Worte zu Pit Kinzers Arbeiten zu sagen: Wie ich in der Zeitung gelesen habe, kam Pit auf die Idee seiner Gerngroß-Models letztes Jahr bei einem Urlaub in Kärnten. Dort gibt es ein Kaufhaus, das "Gerngroß" heißt. Und just an diesem Ort kann man die größte Miniatureisenbahn Österreichs bestaunen.
Die "Gerngroß-Models" sind im Original also winzig klein. Es sind die verschiedensten Typen darunter - von Passanten über Blasmusiker bis hin zu Striptease-Tänzerinnen. Allesamt hat Pit Kinzer sie in so ausgewählt, dass sie in von ihm vorgegebene Szenerien passen. Kinzer hat Architektur studiert und betätigte sich früher auch literarisch – insofern gehört der Raum zu Kinzers zentralen Sujets ebenso wie das lyrische Moment, das in den von ihm arrangierten Szenen aufscheint.
Zuerst zu den großformatigen Arbeiten: Diese bilden die Wirklichkeit haargenau ab. Es sind vom Künstler gestellte Szenen, die ihre Aussagekraft dadurch gewinnen, dass sie Realität und Abstraktion auf eine neue Weise miteinander verschmelzen. In Kombination mit den erhellenden Bildtiteln wird dies deutlich.
Das Bild hinter mir beispielsweise heißt "Der Sprung ins Ungewisse": Die Makrofotografie erlaubt eine millimetergenaue Tiefenschärfe und die Figur fliegt gewissermaßen in einen Unschärfebereich hinein, dessen Ende nicht absehbar ist.
Eine eher zufällige - im Ergebnis aber umso treffendere - Korrespondenz sehen wir bei der Arbeit, die Pit Kinzer dort auf der Staffelei präsentiert: Das Bild mit dem Titel "Der Theaterverein probt Casablanca" findet seinen angemessenen Platz direkt neben einem Casablanca-Filmplakat. Die Einschränkung, die wir hier als Aussteller haben, da wir an den Wänden nichts verändern dürfen, erfährt an dieser Stelle eine überraschend positive Wendung.
Ene dritte großformatige Arbeit, die ich noch ansprechen möchte, heißt "Im Winter des Lebens": Pit Kinzer hat hier zwei Figuren auf die Fotografie einer Schneefläche gestellt: Es sind unbemalte Figuren, die im Lichtschein so transparent und verletzlich wirken, dass man meint, schon fast ihre Seele sehen zu können. Und es sind zwei alte Damen, die ihr langes Leben über den kalten Schnee bewegen - den Herbst ihres Lebens haben sie schon lange hinter sich und trotzen der Kälte, die sie umgibt. Sie wirken verletzlich, doch zugleich gehen sie tapfer voran. Wohin sie gehen, wissen nur sie.

Im Unterschied zu den großformatigen Arbeiten, die abstrakt inszeniert sind und im Grunde an jedem Ort der Welt stattfinden könnten, sind die kleinformatigen Arbeiten in ganz konkrete Umgebungen eingebunden. Pit Kinzer hat die Figuren so arrangiert und fotografiert, dass er sie anschließend am Computer passgenau in vorhandene Stadtlandschaften einmontieren konnte. Diese Arbeiten stehen unter dem gemeinsamen Titel "Gerngroß-Models auf der Walz". Wir sehen Wandergesellen, wie sie sich rund um den Globus nützlich machen. Mit Vorliebe besuchen sie Orte mit historischen oder politischen Bezügen und arbeiten damit im wahrsten Sinne des Wortes am Begriff. Sie sind in Deutschland, Europa und Übersee unterwegs, werkeln am Kölner Dom, an der Dresdner Frauenkirche, am Turm von Pisa, dem Triumpfbogen in Paris oder gar im New Yorker Ground Zero. Auch der Turmbau von Babel ist ihnen eine Reise wert. Und immer haben sie eine Kiste dabei, wobei man sich fragt, was sie in dieser wohl transportieren mögen. Sie tragen ihr Geheimnis offensichtlich und gut verpackt mit sich herum – ausgerechnet an der polnischen Grenze wird ihnen diese Kiste gestohlen.

Was ist das nun für ein Mensch, der sich solche Sachen ausdenkt? Pit Kinzer kommt aus Markt Rettenbach im Unterallgäu, dort lebt und arbeitet er als Künstler, Galerist und Kulturschaffender. Er ist 1951 im Allgäu geboren, kam 1972 nach Augsburg, studierte Architektur, machte Musik von Tanzkapelle bis Freejazz, war Mitarbeiter der ersten Augsburger Stadtzeitung und gab eine Zeitschrift für Literatur und Kunst heraus. Als freischaffender Maler, Grafiker und Medienkünstler kann er schon über 80 Einzelausstellungen und an die 500 Ausstellungsbeteiligungen vorweisen. Auch diverse Preise hat er bekommen – u.a. 1982 den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg für Literatur, 1987 den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg für Bildende Kunst, 1998 den Kunstpreis der HypoVereinsbank Pfronten und letztes Jahr den Preis des Rotary-Clubs beim 8. Kunstfrühling in Bad Wörishofen.

So viel zu Pit Kinzer in gebotener Kürze – schließlich haben wir heute noch einen Salon vor uns. Ich denke, Sie können Pit Kinzers vielfältige Interessen und Begabungen auch in den hier gezeigten Arbeiten entdecken. Wer mehr über Pit Kinzer und seine Arbeit erfahren will, kann ihn entweder heute Abend noch ansprechen oder einfach im Internet unter www.jetztkunst.de nachlesen. Ich wünsche Ihnen nun einen angenehmen Salonabend, vielen Dank.

Pit Kinzer, im Hintergrund seine Arbeit "Sprung ins Ungewisse"
links: "Im Winter des Lebens", Fotoarbeit auf Aludibond, 130 x 100 cm, 2005
rechts: "Der Sprung ins Ungewisse", Fotoarbeit auf Aludibond, 130 x 100 cm, 2005
Der Theaterverein probt Casablanca", Fotoarbeit auf Aludibond, 100 x 130 cm, 2005
"Kleines Ständchen für eine Randfigur", Fotoarbeit auf Aludibond, 130 x 100 cm, 2005
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